Die Illusion von der Vereinbarkeit von Familie und Karriere

Wie einfach ist es, als berufstätige Mutter in Deutschland Karriere zu machen? Welche beruflichen Perspektiven haben Frauen mit Kindern? Inwieweit ändert sich die Arbeits- und Lebenssituation durch Schwangerschaft und Mutterschaft? Prof. Dr. Yvonne Ziegler und Prof. Dr. Regine Graml, Fachhochschule Frankfurt am Main, untersuchten die Karrierebedingungen und -erfahrungen berufstätiger Mütter in Deutschland.

1.801 Teilnehmerinnen beteiligten sich an der Frankfurter Karrierestudie, die im Sommer 2010 als Onlinebefragung durchgeführt wurde. Durch die starke Resonanz bei der Beantwortung der geschlossenen und offenen Fragen geben die Ergebnisse der Forschungsstudie einen sehr differenzierten Einblick in die Karriereperspektiven von Müttern.

1. Müttern ist ihr Beruf wichtig

Die Ergebnisse der Befragung entkräften das Vorurteil, dass Beruf und Karriere durch die Mutterschaft für Frauen unwichtig wird. Befragt nach dem Stellenwert von Familie und Beruf geben immerhin 42% der Teilnehmerinnen an, ihr Beruf sei für sie von gleicher Bedeutung wie ihre Familie. Für 56% ist die Familie wichtiger als der Beruf. Nichtsdestotrotz geht es vielen Frauen nicht um „entweder – oder“, entweder Kinder oder Beruf, sondern um die Verknüpfung von beidem. Die Tatsache, dass Mütter ihre berufliche Tätigkeit als wichtig erachten, spiegelt sich auch in den Arbeitszeiten wieder. Nur 7% der Befragten arbeiten 16 Wochenstunden und weniger. Fast 20% der Mütter arbeiten über 40 Stunden pro Woche, bei knapp 30% liegt die Wochenarbeitszeit zwischen 33 und 40 Stunden.

2. Schwangerschaft als notwendiges Übel
„Die Schwangerschaft ist eine missliebige Komplizierung der Arbeitsorganisation. Die damit verbundene Abwesenheit der Mitarbeiterin wird zähneknirschend hingenommen.“ 18% der Befragten geben an, dass diese Aussage die Einstellung ihres Vorgesetzten gegenüber schwangeren Mitarbeiterinnen widerspiegelt. 12% der Teilnehmerinnen beschreiben die Einstellung des Vorgesetzten mit folgender Aussage: „Eine schwangere Mitarbeiterin fällt aus, ist anschließend nicht mehr voll belastbar und sollte besser auch gar nicht wieder kommen.“ Somit beschreiben knapp ein Drittel der Befragten, dass ihr Vorgesetzter die Schwangerschaft von Mitarbeiterinnen als negativ und störend bewertet. Dieses Ergebnis überrascht im 21. Jahrhundert, in dem viele Unternehmen mit ihrer Familienfreundlichkeit werben. Die große Mehrheit der Frauen, immerhin 70%, gibt eine positive Einstellung ihres Vorgesetzten an.

3. Karriereschritte auf Eis

Bei einem Teil der Befragten standen während der Schwangerschaft Karriereschritte an. Von diesen befragten Müttern gaben 72% an, dass anstehende Karriereschritte auf Eis gelegt (39%) oder sogar ganz gestrichen (33%) wurden. Nur bei jeder fünften Befragten sind anstehende Karriereschritte bei der letzten Schwangerschaft wie geplant umgesetzt worden.

4. Gehaltserhöhung gestrichen

48% der befragten Mütter gaben an, dass die während der Schwangerschaft anstehende Gehaltserhöhung gestrichen (37%) oder nur in verminderter Höhe umgesetzt (11%) wurde. Bei 42% der Befragten wurde die anstehende Erhöhung wie geplant umgesetzt.

5. Angst vor Benachteiligung beeinflusst Auszeit

In der Studie wurde sowohl die Dauer der Auszeit pro Kind erhoben, als auch die Faktoren, die die Dauer beeinflusst haben. Ein Drittel der Befragten hat im Schnitt pro Kind bis zu 6 Monaten pausiert (32%), die Mehrheit der befragten Mütter hat zwischen 7 und 24 Monaten pausiert (51%). 19% haben gar keine Pause genommen oder nur bis maximal 3 Monate pausiert. Nur 17% der Befragten haben 25 Monate und mehr pausiert. Die in Deutschland gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten im Rahmen der Elternzeit bis zu drei Jahren zu pausieren, wurden kaum ausgeschöpft.

Bei der Dauer der Auszeit spielen drei Gruppen von Einflussfaktoren eine Rolle: Das Wohl des Kindes, die mögliche Benachteiligung am Arbeitsplatz und organisatorische Faktoren. Über die Hälfte der Befragten gibt an, dass der Wunsch nach der eigenen Betreuung des Kindes die Dauer der Elternzeit beeinflusst (57%). Der Wunsch, weiterhin attraktive Arbeitsaufgaben zu erhalten, bestimmt bei vielen der befragten Mütter die Dauer ihrer Elternzeit (38%). Auch die Angst vor möglichen Karrierenachteilen (19%) und Angst vor Arbeitsplatzverlust (12%) beeinflussen die Dauer der Auszeit. Mangelnde Kinderbetreuungsmöglichkeiten als organisatorischer Faktor ist für 23% der Befragten von Bedeutung.

6. Rückkehr: Quo vadis?

Von besonderem Interesse sind Erkenntnisse über den beruflichen Wiedereinstieg nach der kinderbedingten Auszeit. 30% der Befragten geben an, dass ihr Arbeitsplatz dauerhaft durch einen anderen Mitarbeiter besetzt oder gestrichen wurde. Bei immerhin 64% der Befragten wurde ein Interesse an der Rückkehr in das Unternehmen verdeutlicht. Dies äußerte sich beispielsweise durch die Suche einer Vertretungsregel für die Abwesenheit, Einladung zu Firmenevents während der Elternzeit, Einbindung in die Firmenkommunikation und in Aussicht stellen einer konkreten Position bei Rückkehr. Die Mehrheit der Befragten (68%) ist nach Mutterschutz und Elternzeit zu ihrem alten Unternehmen zurückgekehrt, 26% davon haben ihre alte Position aber nicht wieder übernommen.

 Explizit nach dem Niveau der Position nach Rückkehr aus der Elternzeit befragt, antworteten 75% der befragten Mütter, dass das Niveau der Position nach Rückkehr aus der Elternzeit dem Niveau vor der Schwangerschaft entsprach. Folglich hat sich bei einem Viertel der Befragten das Niveau verändert: bei den von einer Veränderung betroffenen Müttern war bei zwei Drittel die aktuelle Position auf einem niedrigeren Niveau angesiedelt, ein Drittel konnte ihre Position verbessern.

7. Diskriminierende Verhaltensweisen

Dass Frauen bezüglich des Gehalts diskriminiert werden und in Führungspositionen unterrepräsentiert sind, wird statistisch gut erfasst und ist allgemein bekannt. Interessant ist die Frage, welche Arten diskriminierenden Verhaltens in welchen Häufigkeiten vorkommen. In der Forschungsstudie wurden zehn Arten von diskriminierendem Verhalten in der Beschreibung nach Lorber kurz vorgestellt. Die Teilnehmerinnen gaben in Mehrfachwahl an, welche der Verhaltensweisen sie in der beruflichen Realität bereits erlebt haben. Subjektive Objektivierung bezeichnet das Verhalten, wenn pauschal über “die Frauen“ oder “die Mütter“ geurteilt wird. Diese Pauschalurteile haben insgesamt 65% der Befragten erlebt, 55% der Befragten sogar mehrfach. Wohlwollende Ausbeutung: Wenn einer Frau die ganze Kleinarbeit übertragen wird, damit sie sich einarbeiten kann, aber ein Mann die Anerkennung für das Endprodukt einstreicht, haben über die Hälfte der befragten Frauen erlebt, 39% mehr als zweimal. Auch die Kollegiale Ausgrenzung haben mehr als die Hälfte der befragten Mütter wahrgenommen: Dass Besprechungen mit Netzwerkeffekt auf Zeiten gelegt werden, zu denen Frauen meist Familienpflichten haben, ist ein sehr häufiges Phänomen im beruflichen Alltag von Frauen. Wenn der Vorgesetzte entscheidet, welche Verantwortlichkeiten eine Frau mit Familienpflichten bewältigen kann, statt sie selber über ihre Zeiteinteilung bestimmen zu lassen, spricht man von Rücksichtsvoller Herrschaft. Diese Fremdbestimmung haben 43% der Befragten erlebt. So werden auf verschiedenste Art und Weise berufliche Kompetenzen von Frauen und Müttern untergraben.  

 8. Vereinbarkeit von Familie und Beruf – aber auf Kosten der Karriere

Die Frage “Können Sie in Ihrer aktuellen Position Beruf und Familie zufriedenstellend vereinbaren?“ beantwortet die Mehrheit der Befragten (83%) mit “Ja“. Nur 17% geben an, Beruf und Familie nicht zufriedenstellend vereinbaren zu können.

 Wenn die Frauen jedoch nach den größten bisherigen Karrierehindernissen gefragt werden, nennt über die Hälfte der befragten Mütter (58%) die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf als eines ihrer größten Karrierehindernisse. „Ich habe einen Karriereschritt zugunsten des Kindes abgelehnt.“ Mütter versuchen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf Kosten der Karriere herzustellen. Vereinbarkeit bedeutet also Verzicht oder Einschränkung der Karriere. Dies wird auch durch eine Studie der Bertelsmann Stiftung belegt. Demnach ist eine zu große Doppelbelastung bei 40% der befragten Männer und Frauen der Grund, warum sie einen Karrierewunsch aufgeben oder ändern mussten.

9. Mütter stellen andere Anforderungen

Die Bedürfnisse und Anforderungen von Frauen ändern sich mit der Geburt. Zeitliche und örtliche Flexibilität sowie berechenbare Arbeitszeiten sind für viele Frauen von Interesse. Die Mehrheit der Befragten nennt flexiblere Arbeitszeiten als anderen beruflichen Anspruch nach der Geburt des letzten Kindes (53%). Weniger Überstunden, kürzere Arbeitszeiten und Arbeit von zu Hause werden jeweils von rund 30% der Befragten gewünscht. Weniger Dienstreisen mit Übernachtung nennen 22% der Befragten als neue Anforderung. Interessant ist, dass nur 4% der Befragten geringere berufliche Verantwortung tragen möchten. Für 22% der Befragten ändern sich die Ansprüche nach der Geburt nicht.

10. Unternehmen erfüllen die Anforderungen

Neben den von den Müttern genannten Ansprüchen wird in der Studie auch erfasst, welche Anforderungen die Unternehmen aktuell erfüllen. Hier ergibt sich ein hohes Maß an Deckungsgleichheit: Über 50% der Frauen wünschen sich nach der Geburt flexiblere Arbeitszeiten und über 50% der Frauen geben an, dass diese Forderung vom derzeitigen Arbeitgeber erfüllt wird. Kürzere Arbeitszeiten wünschen sich 31% der Frauen und in immerhin 27% der Fälle wird dies vom Unternehmen erfüllt. Bei ’weniger Überstunden’ und ’Arbeit von zu Hause aus’ ergibt sich eine erkennbare Lücke. Diese Ansprüche sind nur bei einer geringen Anzahl von Frauen erfüllt.

11. Gestaltungsempfehlungen der Mütter

Abschließend wurde in der Studie gefragt,  welche Vorschläge die Teilnehmerinnen zur Gestaltung der Arbeitswelt für besonders hilfreich halten. Zu den am meisten genannten Maßnahmen und Änderungen gehören ’Qualifizierte Teilzeittätigkeiten’ (82%) und ein Bewusstseinswandel (79%). Die Bewusstseinsänderung, dass Mütter leistungswillig und –bereit sind, ist die Basis dafür, dass qualifizierte Teilzeittätigkeiten und flexible Arbeitszeiten und –orte von Frauen in Anspruch genommen werden können, ohne Abstriche beim Entgelt oder in ihrer Karriereentwicklung zu machen. Das ist bei der Präsenzkultur, die häufig in traditionellen Unternehmen vorherrscht, nicht vorstellbar.

Kindertagesstätten und –kindergärten in Unternehmen und Gemeinden halten jeweils rund zwei Drittel der Befragten für hilfreich. Über die Hälfte der Befragten sieht die Verteilung der Elternzeit auf Mütter und Väter als sinnvollen Ansatz. Ebenfalls die Hälfte der Befragten spricht sich für eine Quotenregelung aus. Gefordert sind klare Zielvereinbarungen in den Unternehmen, die sicherstellen, dass eine bestimmte Anzahl von Führungspositionen mit Frauen besetzt werden. Der Vorschlag, ‚Arbeitszeitkonten, die ein Ansparen von Überstunden in jungen Jahren und ein Abfeiern für die Kinderbetreuung ermöglichen’ wird von knapp der Hälfte der Befragten genannt.  

Fazit aus der Studie 

  • Müttern ist ihr Beruf wichtig: Für 42% befragten berufstätigen Mütter sind Familie und Beruf gleich wichtig
  • Eines der größten Karrierehindernisse berufstätiger Mütter ist die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf (58%)
  • Schwangerschaft als notwendiges Übel: Die Einstellung der Vorgesetzten gegenüber schwangeren Mitarbeiterinnen beschreibt knapp ein Drittel aller Frauen als negativ
  • Anstehende Karriereschritte während der Schwangerschaft wurden bei 72% der Mütter auf Eis gelegt oder gestrichen
  • Anstehende Gehaltserhöhungen während der Schwangerschaft wurden bei 48% der Befragten gestrichen oder in verminderter Höhe umgesetzt
  • Angst vor Benachteilung beeinflusst die Dauer der Auszeit
  • Der Arbeitsplatz wurde bei 30% der Befragten dauerhaft durch einen anderen Mitarbeiter besetzt oder gestrichen
  • Mütter fordern mehr qualifizierte Teilzeittätigkeiten (82%), mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten (60%), Verteilung der Elternzeit auf Mütter & Väter (56%) und einen Bewusstseinswandel (79%).

Angaben zur Studie

Die vollständige Studie erscheint im Sommer 2011 im Shaker Verlag unter dem Titel: „Frankfurter Karrierestudie“ von Ziegler, Y. /Graml, R. (2011), Aachen.

 Prof. Dr. Yvonne Ziegler

Dekanin des Fachbereichs Wirtschaft und Recht an der der Fachhochschule Frankfurt am Main, dekanin-fb3@dek3.fh-frankfurt.de

 Prof. Dr. Regine Graml, M.A.

Professorin für Betriebswirtschaftslehre, Personalmanagement und Organisation an der Fachhochschule Frankfurt am Main, graml@fb3.fh-frankfurt.de