Wissenschaftsforum Chemie 2013: Worüber die Nuklearchemiker reden

Anlässlich des Wissenschaftsforums Chemie 2013 findet vom 2. bis 4. September die Jahrestagung der Fachgruppe Nuklearchemie der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) statt. Zu den herausragenden Themen dieser Tagung zählen die Nuklearchemie in der Medizin, die superschweren Elemente, ein Rückblick auf die Entdeckung der Kernspaltung vor 75 Jahren, geochemische Aspekte der Endlagerung und natürlich auch „Gorleben“. Außerdem verleiht die Fachgruppe den Fritz-Straßmann-Preis sowie Promotionspreise.

In den letzten 30 Jahren sind zwölf neue Elemente des Periodensystems entdeckt worden, sechs davon am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt, und zwar die mit den Ordnungszahlen 107 bis 112. Die Synthese weiterer sechs Elemente (Ordnungszahl 113 bis 118) wurde durch das Flerov Labor in Dubna, Russland, vermeldet. Darunter befinden sich Isotope mit mehreren Sekunden Halbwertszeit, was für schwerste Elemente erstaunlich lang ist. Die 7. Periode des Periodensystems ist somit komplett, und die experimentelle chemische Charakterisierung der neuen Elemente hat längst begonnen. Als herausragende Einrichtung in der Wissenschaftsstadt Darmstadt ist die GSI Ziel einer Exkursion am 2. September. Die GDCh-Fachgruppe Nukleare Chemie veranstaltet innerhalb ihrer Tagung auch ein Symposium zum Thema superschwere Elemente. Der Plenarvortrag am 3. September, gehalten von Professor Dr. Andreas Türler, Paul-Scherrer-Institut, Villigen/Schweiz, befasst sich ebenso mit der Synthese und Charakterisierung superschwerer Elemente und gibt einen Überblick über den Stand dieser Forschung.

Die Verwendung radioaktiver Stoffe zur Diagnostik und Therapie hat in der Medizin in den vergangenen Jahren stark zugenommen, konstatiert der Chemiker Professor Dr. Björn Wängler, der im Universitätsklinikum Mannheim die Professur für Molekulare Bildgebung mit Schwerpunkt Radiochemie innehat. In Darmstadt trägt er über neue Methoden der Radiomarkierung und Automatisierungslösungen für effizientere Synthesen von Radiopharmaka vor. Am Beispiel der Positronen-Emissions-Tomographie (PET), die durch die Weiterentwicklung der klinischen Scanner – PET mit Computertomograph (CT) – eine wichtige Methode in der Diagnostik geworden ist, macht Wängler deutlich, was Chemiker tun mussten und müssen, damit ein solches Verfahren überhaupt angewandt werden kann. Zum Einsatz kommen die radioaktiven Isotope Fluor-18 und Gallium-68 mit Halbwertszeiten von etwa 1 bis 2 Stunden. Die Halbwertszeiten sollten kurz genug sein, um den Patienten und Personen in seiner Umgebung keiner lang andauernden Strahlenbelastung auszusetzen, aber lang genug, um die radioaktiven Isotope in komplexen Radiosynthesen auch in Biomoleküle einführen zu können. Durch neue Synthesemodule konnten die Vorbereitungszeiten für die Radiosynthesen wesentlich verkürzt werden, und die Click-Chemie ermöglicht es, dass die Reaktionen deutlich schneller ablaufen.

 

Lösungen für die Endlagerung radioaktiver Abfälle, vor allem aus Kernkraftwerken, aber auch aus Forschung und Medizin, zu finden, ist auch für Nuklearchemiker zu einer Kernfrage geworden. In den vergangenen drei Jahren wurde eine Vorläufige Sicherheitsanalyse Gorleben (VSG) durchgeführt. An diesem umfangreichen Projekt arbeiteten mehrere Institutionen an verschiedenen Fragestellungen zum Standort Gorleben. Das Institut für Nukleare Entsorgung (INE) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) arbeitete innerhalb der VSG u.a. an der Ableitung eines Quellterms für hochradioaktive wärmeproduzierende Abfälle, d.h. an einer Abschätzung  der Radionuklidmengen, die im Falle eines – wenn auch wenig wahrscheinlichen – Wasserzutritts freigesetzt werden können. Hervorzuheben ist, dass die Aussagen auf einem grundlegend wissenschaftlichen Prozessverständnis sowie auf einer belastbaren thermodynamischen und geochemischen Beschreibung beruhen. Sowohl der Ansatz als auch die vorgestellten Daten lassen sich damit auch in Sicherheitsanalysen für andere Endlagerstandorte verwenden. Angesichts des derzeit in Deutschland anlaufenden Standortauswahlverfahrens ist eine solche Vorgehensweise essentiell. Dr. Marcus Altmaier vom KIT-INE diskutiert kritisch Ergebnisse und offene Fragen.

 

Die ehemalige DDR, genauer das Gebiet des westlichen Erzgebirges und dessen Vorland, war zur Zeit des Warschauer Paktes der weltweit viertgrößte Uranproduzent und bedeutendster Uranlieferant der damaligen UdSSR. Diese Aktivitäten führten zu großflächigen Kontaminationen mit Uran und seinen Zerfallsprodukten, die wiederum durch die Zwickauer Mulde und die Vereinigte Mulde in Richtung Elbe transportiert wurden. Mit der Kontamination dieses Flusssystems beschäftigt sich das vom BMBF geförderte Projekt „Transport und Verfügbarkeit von Uran und langlebigen Zerfallsprodukten in Auenböden der Mulde“, über das Dr. Stefan Bister vom Institut für Radioökologie und Strahlenschutz der Universität Hannover berichtet. Während bisher vorwiegend die Sedimente und im geringeren Umfang das Flusswasser untersucht wurden, berücksichtigt dieses Projekt auch die landwirtschaftlich genutzten Flussauen. Ziel ist es, den Radionuklidtransfer vom Fluss über Boden und Pflanzen zum Menschen zu untersuchen und zu bewerten. In allen Umweltkompartimenten ist der Einfluss des ehemaligen Uranbergbaus klar erkennbar, besitzt allerdings nur geringe radiologische Bedeutung. Wasser- und Sedimentproben zeigen übereinstimmend einen deutlichen Rückgang der Kontamination im Verlauf der letzten 15 Jahre.

 

Die Entdeckung der Kernspaltung vor 75 Jahren, im Dezember 1938, geht auf Arbeiten von Otto Hahn, Lise Meitner und Fritz Straßmann zurück. Die Arbeiten bauten auf Experimenten von Enrico Fermi und seinen Mitarbeitern im Frühjahr 1934 auf, die Uran mit Neutronen bestrahlten und nach Transuranelementen suchten. Hahn, Meitner und Straßmann setzten diese Untersuchungen fort und konnten schließlich auf chemischen Wege nachweisen, dass beim Beschuss von Uran mit Neutronen eine Spaltung des Uranatoms in zwei leichtere Kerne eintritt: Es entsteht beispielsweise Barium. Professor Dr. Nobert Trautmann vom Institut für Kernchemie der Universität Mainz, erläutert, wie dies nachgewiesen, wissenschaftlich erklärt und durch physikalische Experimente bestätigt werden konnte. Auch auf die weltweite Resonanz nach der Entdeckung der Kernspaltung und auf einige ihrer Folgen wird er eingehen. Im Zuge der weiteren Erforschung der Kernspaltung sind dann auch Elemente jenseits des Urans gefunden worden. Damit schließt sich der Kreis zum Schwerpunktthema der schwersten Elemente.

 

Den Fritz-Straßmann-Preis der GDCh- Fachgruppe Nuklearchemie erhält in diesem Jahr PD Dr. Thorsten Stumpf von KIT-INE in Anerkennung seiner hervorragenden Forschungsleistungen im Bereich der Actinidengeochemie. Ihm gelang die detaillierte spektroskopische Aufklärung unterschiedlicher fest-flüssig Grenzflächenreaktionen der Actiniden. Durch den innovativen Einsatz spektroskopischer Methoden  gelangen ihm insbesondere wegweisende Einblicke in die molekularen Mechanismen des Einbaus von Actiniden in das Kristallgitter von Mineralphasen. Die Aufklärung solcher Reaktionen ist für Langzeitsicherheitsbetrachtungen bei Endlagern von großem Interesse – und auch für die Sicherheit eines Endlagers im Fall eines Wasserzutritts. Die Promotionspreise der Fachgruppe erhalten in diesem Jahr Dr. Christian Förster von der Technischen Universität Dresden für seine Dissertation „Entwicklung der Radionuklid-markierten Komponente eines Tumor-Pretargeting-Systems für die Endoradionuklidtherapie auf der Basis L-konfigurierter Oligonukleotide“ und Dr. Daniel Fröhlich von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz  für seine Dissertation „Speziation von Neptunium bei der Migration in Tongestein“.

Die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) gehört mit über 30.000 Mitgliedern zu den größten chemiewissenschaftlichen Gesellschaften weltweit. Sie hat 27 Fachgruppen und Sektionen, darunter die 1956 gegründete Fachgruppe Nuklearchemie mit über 250 Mitgliedern. Die Fachgruppe sieht ihre Hauptaufgabe in der Förderung von Kern-, Radio- und Strahlenchemie sowie der dort tätigen Studenten, Techniker und Wissenschaftler. Dabei soll die Unterrichtung über neue Ergebnisse und Anwendungen besonders im Vordergrund stehen.