Nach der Familienzeit zurück in MINT-Berufe

Dreizehn Frauen zwischen 31 und 53 Jahren starten im Rahmen eines in Niedersachsen einzigartigen Projektes jetzt den Wiedereinstieg ins Berufsleben. 18 Monate dauert die Fortbildung mit dem Titel „Perspektive MINT“, die das Land mit rund 180.000 Euro als Pilotprojekt fördert,

Die Idee für das Projekt hatte Prof. Dr. Anna Müller, Professorin für Gender und Diversity an der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst, Hildesheim/Holzminden/Göttingen. Gemeinsam mit Vizepräsident Prof. Dr. Wolfgang Viöl, der damaligen Studiendekanin Prof. Dr. Gisela Ohms und dem damalige Dekan Prof. Dr. Manfred Bußmann von der HAWK-Fakultät Naturwissenschaften und Technik sowie der Volkshochschule (VHS) in Göttingen wurde das Konzept weiter entwickelt: Frauen mit einem naturwissenschaftlich-technischen Profil frischen ihr Wissen auf und lernen Neues, anschließend werden sie sich, unterstützt von der HAWK, bei Kooperationsfirmen um ein viermonatiges Praktikum bewerben. In dieser Zeit können Praktikantin und Firma sehen, ob und wo Qualifikation und Anforderung zueinander passen. Im Förderverein der Fakultät, wo das Ohms und Bußmann das Projekt vorgestellt hatten, hatte es durchweg positive Reaktionen auf das Vorhaben gegeben: Vertreter von regionalen Kooperationsunternehmen hatten sich sehr interessiert gezeigt und bezeichneten das Projekt selbst als zukunftsweisend.

„Sicher ist es nicht, dass die Frauen tatsächlich eine Stelle, möglichst in Teilzeit, bekommen“, sagt Bärbel Okatz, Projektkoordination Frau und Beruf bei der Volkshochschule. Aber sie schaffen mit ihrer Fortbildung eine sehr gute Voraussetzung nach langer Familienzeit, den Einstieg überhaupt wieder zu finden.“ Angesichts des immensen Fachkräftemangels sehen aber sowohl Okatz als auch Müller große Chancen, dass Unternehmen das Potenzial der Frauen sofort zu schätzen wissen. Unterdessen, so Anna Müller, sei das Projekt auch für die Region Holzminden geplant.

„Wir werden die Praktikumssuche und -phase wissenschaftlich begleiten und auswerten“, kündigt Professorin Müller jetzt schon an. Doch soweit ist es noch nicht, denn die Frauen in Göttingen sind gerade erst zwei Wochen dabei. Und schon jetzt zeigt sich eine Herausforderung: der unterschiedliche Ausbildungshintergrund der Teilnehmerinnen. Zu der Gruppe gehören eine promovierte Biologin, eine Physikerin und eine Mathematikerin mit Doktortitel ebenso wie Frauen, die technisch-naturwissenschaftliche Ausbildungsberufe ohne Studium gewählt hatten. Susanne Berdelmann, Projektleiterin auf Seiten der VHS, entwickelt gemeinsam mit ihren Kolleginnen von der HAWK Strategien, einige nicht zu unter- und andere nicht zu überfordern.

Eine ganze Stelle ist zur Projektbegleitung und engen Betreuung der Teilnehmerinnen über eineinhalb Jahre geschaffen worden. Die eine Hälfte besetzt Susanne Berdelmann, die andere Hälfte teilen sich die HAWK-Master-Studentin Mareike Müller und die Wissenschaftliche Mitarbeiterin Sabine Förster. Prof. Dr. Gisela Ohms betreut das Projekt aus fachlicher Sicht. Alle drei kommen von der Fakultät Naturwissenschaften und Technik. Die Studienfächer sind aus den Bachelor-Studiengängen Physikalische Technologien und Präzisionsmaschinenbau.
Ab März werden die 13 Frauen dann auch an der Fakultät N auf den Zietenterrassen gemeinsam mit den Studierenden in den Hörsälen sitzen. Bis dahin stehen an der VHS die Themen „Profiling, Kommunikation, Lerntechniken, Vorkurse in Mathematik, Physik und EDV und die Profilwahl auf dem Programm. Es folgen an der HAWK die fachbezogenen Qualifizierungen und hinzu kommen Themen wie Marketing, Bewerbungstraining, Fachenglisch und Kommunikationstraining.

Sehr positiv sei, so sind sich alle Teilnehmerinnen jetzt schon einig, dass immer eine direkte Projektansprechpartnerin vor Ort ist. Und dass die Gruppe sehr homogen sei. Bei ganz unterschiedlichem Wissensstand verbinde alle das Ziel, nach der Familienphase wieder im Beruf Fuß zu fassen – und zwar in einem technisch-naturwissenschaftlichen Bereich und nicht irgendwo.

Die 51-jährige Friederike Oldendorf hat von ihren studierenden Kindern schon das passende Angebot bekommen: Per Skype – Internetbildtelefon würden sie ihr gern Nachhilfe geben, falls es mal notwendig werden sollte. Friederike Oldendorf ist gelernte Medizinisch-Technische Assistentin und war 28 Jahre zu Hause bei der Familie. Jetzt müsse sie sich um niemanden mehr Sorgen machen und sei frei, etwas Neues anzufangen.

Friederike Oldendorf war ebenso wie die Biologin Dr. Regina Hebisch teils aus persönlichen Gründen, teils aus mangelnden Jobmöglichkeiten lange nicht berufstätig. Das soll sich jetzt ändern. Beide Kinder der Biologin besuchen noch das Gymnasium und da kommt ihnen die Fortbildung der Mutter sehr recht. Sie kann sie nämlich jetzt wieder bei den Hausaufgaben unterstützen, weil sie selbst gerade altes Wissen auffrischt. Regina Hebisch war fast 16 Jahre zuhause. Jetzt lernen sie und ihre Mitstreiterinnen rund 30 Stunden pro Woche Altes neu und Neues dazu.