Unternehmen vom Mitarbeiter her neu denken

„Es wird ganz bestimmt in Richtung Sinnorientierung gehen“, sagt Bodo Janssen, Erbe und Chef der Hotelkette Upstalsboom* und fügt hinzu: „Ein Unternehmen ist nicht da, um Gewinn zu machen, sondern es ist ein Mittel zum Zweck – es muss Mensch und Ökologie dienen. Die Generationen Y und Z interessieren Karriere ohnehin nicht mehr so sehr. Sie wollen mehr Freizeit, mehr Leben. Und sie können es sich erlauben, denn wir werden einen Arbeitnehmermarkt haben, auf dem sich Unternehmen bei den Kandidaten bewerben müssen, nicht umgekehrt.

Wer da versucht, Menschen mit hohen Gehältern zu locken, wird auf die Schnauze fallen. Denn diese sind ein Zeichen für eine menschenunwürdige Kultur, in der eine Art Schmerzensgeld bezahlt werden muss. Und darauf hat keiner mehr Bock.“

So bringt Bodo Janssen die Essenz der Führungserfahrungen seit der Übernahme der Hotelkette Upstalsboom von seinem Vater im Jahr 2005 auf den Punkt und trifft damit zwei Kernaussagen:

1. Mitarbeiter werden die Unternehmen zukünftig nach der Erkennbarkeit des Sinns von individueller Arbeitsleistung und dem durch das Unternehmen generierten, gesamtgesellschaftlichen Nutzen bewerten

2. Die Unternehmen werden sich in naher Zukunft, und teilweise auch schon heute, bei den Kandidaten bewerben, und gute Argumente für eine Mitarbeit liefern müssen

Ohne eine für den individuellen Mitarbeiter sinnstiftende Arbeit, wird es also keine guten Argumente im Wettkampf um die geeignetsten Kandidaten geben. Und schon beginnt sich eine Spirale zu drehen, deren Wirkungskraft nicht nach oben führt.

Karriere machen, möglichst viel Geld verdienen, einen Dienstwagen fahren und eine betriebliche Pension zugesichert bekommen; alles Ziele, die das Bedürfnis etwas darzustellen, nach Besitz, Kontrolle und Sicherheit im Vordergrund sehen. Ziele, die nach der Zugehörigkeit zu einer wie auch immer gearteten Herrschaftsschicht streben, weil eben diese Zugehörigkeit Privilegien wie z. B. (Herrschafts-)Wissen, ein karriereförderliches Netzwerk, gesellschaftlichen Status, Geld und Macht verspricht.

Alles Attribute, die vor der Digitalisierung und den heutigen Möglichkeiten des Internets einen eigenständigen Wert hatten, die inzwischen aber zum sinnentleerten Appendix einer Arbeitswelt verkommen, die von der nachrückenden Generation in weiten Teilen als nicht mehr attraktiv empfunden wird.

Nun denn, zum Glück haben ja „wir“ das sagen und die nachfolgende Generation wird sich, wie auch alle Generationen vor ihr, in mehr oder weniger schmerzhaften Prozessen an die Lebens- und Arbeitswirklichkeit gewöhnen und sich einordnen müssen – so die Hoffnung, die mir gegenüber in vielen Gesprächen nach wie vor zum Ausdruck gebracht wird.

Hierbei wird jedoch regelmäßig verdrängt, dass diese Menschen, die in der Arbeitswirklichkeit ankommen und sich einordnen sollen – im Gegensatz zu den heute maßgeblichen Personen in den Unternehmen – nichts zu verlieren und damit auch keine Motivation zur Anpassung haben:

– Karriere haben sie noch keine gemacht und das ist ihnen im herkömmlichen Sinne auch nicht so wichtig
– einen Dienstwagen haben sie nicht und der ist in Zeiten von Car-Sharing auch weder von Bedeutung noch hip
– viel Geld haben sie häufig nicht und es ist, ohne übergeordneten Sinn und allein um seiner selbst willen, auch nicht besonders attraktiv
– selbiges gilt für gesellschaftlichen Status und Macht, die nur dann Bedeutung haben, wenn sie einem übergeordneten Sinn zur Geltung verhelfen
– betriebliche Pensionen und sonstige auf das Sicherheitsbedürfnis abzielende Lohnnebenleistungen haben, wie monetäre Anreize insgesamt, nur noch eine untergeordnete Bedeutung
– und last but not least: ein Netzwerk haben sie sich als sogenannte Digital Natives schon in der Schul- und Studienzeit mit Hilfe der Sozialen Medien aufgebaut und pflegen dieses routiniert und durchaus zielstrebig

Im krassen Gegensatz dazu sieht sich die aktuell beruflich etablierte Generation, die sich in weiten Teilen anders definiert und nicht zuletzt aufgrund dieses Umstands eine Menge zu verlieren hat.

Das weckt Verteidigungsinstinkte. Dies hat in vielen Unternehmen, anders als unter objektiven Gesichtspunkten zu erwarten wäre, den Rückzug auf tradierte Verhaltensmuster zur Folge. Unter Missachtung der Wirklichkeit und jenseits von absehbaren und meines Erachtens auch unumkehrbaren Zukunftsentwicklungen, zeichnet sich vielerorts geradezu eine Erstarrung im Gewohnten ab.

Verteidigung von Besitzständen, gut und schön aber gegen wen? Doch nicht ernsthaft gegen den zukünftig bedeutendsten und gleichzeitig kaum mehr frei auf dem Arbeitsmarkt verfügbaren Erfolgsfaktor der Unternehmen – die Mitarbeiter. Dies gilt umso mehr, da insbesondere aufgrund der demographischen Entwicklung, die Marktmacht auf dem Arbeitsmarkt schon sehr bald nicht mehr bei den Arbeitgebern zu finden sein wird.

Viele der aktuellen Beratungsmandate meines Instituts in diesem Themenfeld machen es überdeutlich: Es gibt keine Zeit zu verlieren und die Unternehmen sind gut beraten, sich intensiv mit den Bedürfnissen der Arbeitnehmer zu befassen.

So sagte mir ein Unternehmer vor kurzem auf meine Anmerkung, dass es für viele Unternehmen zunehmend schwierig wird Fachkräfte zu rekrutieren:

„Es ist nicht schwierig hochqualifizierte Ingenieure zu finden, sondern es gibt gar keine auf dem Arbeitsmarkt frei verfügbaren Fachkräfte für unser Unternehmen. Wenn ich welche benötige, muss ich die woanders abwerben. Unangenehm ist außerdem, dass die Mitbewerber dies auch bei meinen Mitarbeitern versuchen; bisweilen mit Erfolg.“

Da nimmt der viel zitierte „War for Talents“ auf einmal eine greifbare Gestalt an.

In den von meinem Institut im Kundenauftrag durchgeführten Mitarbeiterbefragungen, aber auch in zahlreichen repräsentativen Studien zu dieser Thematik, dominieren vor allem drei Faktoren die ausschlaggebenden Kriterien für eine Job-Entscheidung:

• die persönliche Herausforderung
• der gesellschaftliche Sinn und
• ein exzellentes Team

Diese Anforderungen treffen häufig auf Angebote der Unternehmen, die von Stellenprofilen, Gehaltsvorstellungen, Zeugnissen, Dienstwagenregelungen, Zielvorgaben und Assessmentcentern bestimmt werden.

So sagt auch Bodo Janssen, Eigentümer der Hotelkette Upstalsboom, rückblickend: „Die Art, wie die Mitarbeiter das Unternehmen sahen und wie ich es sah, hatten absolut nichts miteinander zu tun.“ *

Um den zukünftigen Vorstellungen der Menschen gerecht werden zu können, die so dringend für den nachhaltigen und erfolgreichen Fortbestand der Unternehmen benötigt werden, müssen viele Unternehmensbereiche neu gedacht werden.

Früher, in hierarchischen Strukturen hat man kompetitiv gegeneinander gearbeitet. Viele wollen diesen Status, ihren Besitz schützen. Das ändert sich: Eine zukünftig erfolgreiche Unternehmensorganisation ist wie ein Organismus, alle beteiligten Zellen müssen gemeinsam einen Nutzen erbringen. (…) Eine Status-Zelle wäre wie ein Krebsgeschwür. (…) Wir entwickeln unsere Firma konsequent von den Mitarbeitern her.“ ** so Torsten Osthus, Geschäftsführer des IT-Dienstleisters Osthus GmbH.

Hier ist es mit Management alleine nicht getan. Ein solcher Unternehmenswandel setzt Führung voraus und vor allem durchgreifendes Handeln, sobald die Notwendigkeiten erkannt sind.

Diejenigen Unternehmen, die die Nase vorne haben, unterscheiden sich im Wesentlichen häufig nur in zwei Punkt von denen, die hinterherlaufen:

– Sie leben echte Führung, die auf Sog und nicht auf Druck setzt
– Sie handeln auf der Basis von Wissen, dass die anderen Unternehmen auch haben aber nicht in Handlungen umzusetzen in der Lage sind

Das Wissen ist in unserer vernetzten Gesellschaft schon lange nicht mehr der Engpass, das Handeln und echte Führung aber sehr wohl. Auch Jim Collins beschreibt in seinem Buch „Good to Great“ – ein Buch über die Voraussetzungen der Entwicklung vom guten zum großartigen Unternehmen – zwei entscheidende Erkenntnisse, die alle untersuchten Unternehmen, die den Sprung vom Guten zum Großartigen schafften, verinnerlicht haben:

1. First who, than what

2. Decisions not circumstances lead from good to great

An erster Stelle steht die Frage nach dem „wer“, der passenden Person. Erst danach gilt es gemeinsam die Frage nach dem „was“, der zielgerichteten Aktion zu beantworten. Darüber hinaus sind es Entscheidungen und nicht die Umstände, die vom Guten zum Großartigen führen.

Mit der Beherzigung dieser beiden Grundsätze in Verbindung mit einer als sinnvoll wahrgenommenen Arbeit, die einen gesellschaftlichen Nutzen stiftet, ist einer substanziellen Weiterentwicklung von Führung in vielen Unternehmen bereits Tür und Tor geöffnet. Das Unternehmen von den Mitarbeitern her neu zu denken und auf die Zukunft auszurichten ist damit zum realistischen Ziel geworden.

_____________________________________________________

Quellen:

* Zitat aus dem Interview von Bodo Janssen mit Anja Dilk, veröffentlicht am 17.06.2016 bei ChangeX.de

** Zitat aus dem Interview von Torsten Osthus mit Winfried Kretschmer, veröffentlicht am 08.04.2016 bei ChangeX.de

Literaturhinweise:

Die stille Revolution – Führen mit Sinn und Menschlichkeit von Bodo Janssen

Chefsache Empowerment – Wie es einem Unternehmer gelingt, dass seine Mitarbeiter Verantwortung übernehmen und über sich hinauswachsen von Torsten Osthus

Good to Great – Why Some Companies Make the Leap … and Others Don´t von Jim Collins

„Es wird ganz bestimmt in Richtung Sinnorientierung gehen“, sagt Bodo Janssen, Erbe und Chef der Hotelkette Upstalsboom* und fügt hinzu: „Ein Unternehmen ist nicht da, um Gewinn zu machen, sondern es ist ein Mittel zum Zweck – es muss Mensch und Ökologie dienen. Die Generationen Y und Z interessieren Karriere ohnehin nicht mehr so sehr. Sie wollen mehr Freizeit, mehr Leben.