Aufsichtsrat: Schwenk zu Kompetenz und Transparenz

Kienbaum: Der heutige Beschluss der EU-Kommission zur Frauenquote sorgt für einen Paradigmenwechsel bei der Besetzung der Kontrolleursmandate in börsennotierten Unternehmen, nachdem der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommissarin Viviane Reding einer bloßen Frauenquote ohne inhaltliche Anforderungen nicht mehrheitsfähig war. Mit dem offensichtlichen Kompromiss zwischen Quotenbefürwortern und -gegnern bekommt die Kompetenz das zentrale Gewicht gegenüber der bloßen Geschlechterfrage. Allein die Eignung der Kandidaten soll für die Aufsichtsrats-Besetzung maßgeblich sein. Kompetenz wird als Grundvoraussetzung zur Ausführung des Amtes betont, allerdings sind bei gleicher Kompetenz Frauen bis zu einer Quote von 40 Prozent zu bevorzugen.

Strafen drohen ab 2016, falls der Auswahlprozess nicht fair ist, ab 2020 für eine etwaige fehlende 40 Prozent-Quote. „Dieses Leitbild zielt auf Gleichbehandlung, aber auch auf Fairness und Transparenz der Auswahl-Prozesse sowie insbesondere auf nachgewiesene Kompetenz für alle Aufsichtsrats-Kandidaten unabhängig vom Geschlecht. Denn um beurteilen zu können, ob allein die Eignung der Kandidaten als maßgebliches Kriterium zur Anwendung gelangt ist, ist eine vollständige Transparenz über die Kompetenzprofile der Aufsichtsratskandidaten erforderlich. Auch erscheinen Abstimmungen über mehrere geeignete Kandidaten/innen mit unterschiedlichen Profilen und Hintergründen eher möglich. Letztendlich wird damit auch die Entscheidungsgrundlage der Aktionäre gestärkt“, sagt Dr. Jürgen Kunz, stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung Kienbaum Consultants International GmbH.

Auch bei Aktionärsschützern wird der Kompromiss aus Brüssel positiv aufgenommen. „Wir begrüßen diese Entwicklung außerordentlich. Wir fordern seit Jahren, dass für die Eignung eines Aufsichtsrats nicht entscheidend sein darf, was man ist, sondern was man kann. Der gefundene Kompromiss trägt diesem Gedanken Rechnung“, sagt Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e.V. (DSW).

Diese EU-Entwicklung, der das Europaparlament und der EU-Ministerrat noch zustimmen müssen, wird erhebliche Auswirkungen auf den Auswahlprozess in rund 1.000 deutschen sowie 4.000 weiteren börsennotierten Unternehmen in Europa haben.

Deutscher Standard

Einen möglichen deutschen Qualitäts-Standard für die Kompetenzbeurteilung hat die Deutsche Börse bereits in diesem Jahr mit der Prüfung zum Qualifizierten Aufsichtsrat vorgelegt und damit den Maßstab gesetzt. „Es geht um den sichtbaren Nachweis der Qualifikation der Aufsichtsräte in den Top-Etagen der deutschen Wirtschaft. Dies ist umso bedeutender, als im ‚Superwahljahr 2013‘ auf den Hauptversammlungen allein in den DAX-30-Unternehmen mehr als 70 Aufsichtsratsmandate auf der Kapitalseite zur Wahl stehen. Die verstärkten Anforderungen, das Damoklesschwert verschärfter Haftung, die Unabhängigkeit, das Ziel von mehr Frauen im Aufsichtsrat und auch Altersgrenzen werden für einen Generationswechsel in den deutschen Top-Kontrollgremien sorgen“, so Kienbaum-Geschäftsführer Kunz.

Frauen auf dem Vormarsch

Die Aktionäre der DAX-30-Unternehmen haben auf den Hauptversammlungen in diesem und im vergangenen Jahr immer häufiger Frauen in ihre Aufsichtsräte gewählt und den Frauenanteil damit binnen Zweijahresfrist verdoppelt: Mehr als die Hälfte der weiblichen Mandatsträger wurde erst 2011 und 2012 in diese Position berufen.

Mit der Verdopplung der weiblichen Aufsichtsräte geht auch eine erkennbare Verjüngung einher: Diejenigen Frauen, die bis einschließlich 2010 gewählt wurden, sind heute durchschnittlich 56 Jahre alt, während die neu berufenen weiblichen Aufsichtsräte im Schnitt fünf Jahre jünger sind. Je nach Aktienindex differiert der Frauenanteil in den Aufsichtsräten erheblich: Im Dax-30 ist der Frauenanteil in den Aufsichtsräten mit 15 Prozent mehr als doppelt so hoch wie im TecDax, wo lediglich sieben Prozent der Mandate mit Frauen besetzt sind. Im S-Dax sind es sogar nur sechs Prozent, während in den M-Dax-Unternehmen immerhin elf Prozent der Aufsichtsratspositionen von einer Frau bekleidet werden. Über alle Indizes hinweg beträgt die durchschnittliche Frauenquote in den Aufsichtsräten mittlerweile zehn Prozent.