Leben in der wunderbaren Klangwelt eines Orchesters

Johanna Malangré hat mit 15 Jahren den Berufswunsch Dirigentin für sich entdeckt und dieses Ziel stringent verfolgt. Sie ist derzeit Dirigierstipendiatin bei den Bergischen Symphonikern und wird im Sommer als ‚Conducting Fellow‘ bei dem berühmten Luzern Festival dirigieren.

Dirigenten sind grauhaarig, tragen einen Frack und sind vor allem männlich – so ist das Klischee. Eine Frau am Pult – das ist immer noch eine Sensation. Von 131 „Kulturorchestern in Deutschland“ werden aktuell zwei von einer Frau (Joana Mallwitz, Generalmusikdirektorin am Erfurter Theater seit 2014 und Julia Jones seit 2016 Generalmusikdirektorin des Symphonieorchesters Wuppertal) geleitet, da kann man wirklich behaupten: Der Beruf des Dirigenten gehört zu den letzten Männerdomänen unserer Gesellschaft.

Wie bist du denn auf die Idee gekommen Dirigentin zu werden?
Musik hat eigentlich von Anfang an zu meinem Leben gehört und hatte immer eine starke Anziehungskraft auf mich, auch als Berufswunsch kam Musiker oft vor.
Ich habe sehr früh mit dem Klavierspiel angefangen, mich schon als Kind für Oper begeistert, in meiner Familie wurde klassische Musik gehört und in Konzerte gegangen. Meine Eltern nahmen mich regelmäßig mit, was ich unglaublich genossen habe und da mein Vater und meine Geschwister Streichinstrumente spielten, wurde in den Pausen dann natürlich kräftig ‚gefachsimpelt‘. Als Pianistin konnte ich gefühlt nicht so richtig mithalten, wenn gerade kein Klavierkonzert gespielt wurde, also fing ich an, den Dirigenten ganz genau zu beobachten. Mit etwa 15 Jahren wurde mir dann bewusst, dass ich das auch machen will und es mein Weg sein könnte, in dieser wunderbaren Klangwelt des Orchesters zu leben.

Was macht dir besonders Spaß an deinem Beruf?
Ein Dirigent verbringt ja 80% seiner Zeit alleine mit dem Studieren der Partituren. Dieses sich in einem Stück zu vergraben und sich sozusagen in detektivischer Arbeit ein Werk anzueignen, liebe ich sehr. Dazu ist das Repertoire an Opern und symphonischer Musik quasi uferlos und unglaublich vielfältig was Komponisten, Stile, Epochen, Gattungen etc. betrifft.
Dann macht mir die eigentliche Arbeit mit Orchester große Freude: das Proben an einem Stück bis es ‚klingt‘ und die Interaktion mit den Musikern beim Spielen.
Höhepunkt sind natürlich die Konzerte, zu denen auch ein gewisser Nervenkitzel gehört und die Momente, wenn man in der Musik eine Einheit mit dem Orchester und dem Publikum erreicht – das ist für mich ein unbeschreibliches Glück.

Welches sind deine Lieblingsstücke, die du schon umgesetzt hast?
Diese Frage finde ich immer gemein, wie als müsste eine Mutter zwischen all ihren Kindern einen Liebling auswählen. Oft sind es einfach die, mit denen ich mich aktuell beschäftige. Ganz oben auf der Liste wären aber zum Beispiel Werke von Igor Strawinsky, Johann Sebastian Bach, Leoš Janáček , Wolfgang Amadeus Mozart, Robert Schumann oder György Ligeti. Und dann gibt es auch noch die lange Liste von Stücken, die ich gerne bald einmal dirigieren würde 🙂

Wie wird man denn Dirigentin? Man muss sicher Musik lieben und mehrere Instrumente spielen, oder? Welche Kompetenzen/Eigenschaft muss man sonst noch mitbringen? Teamfähigkeit? Führungsstärke oder was ist besonders wichtig?
Gute Ohren, Führungswille, eine starke musikalische Vorstellungskraft und Phantasie, Freude an Kommunikation, Bereitschaft zu viel harter Arbeit und Durchhaltevermögen wären sicher einige der vielen Eigenschaften. Daneben gibt es das fachliche Handwerk, das man lernen kann.

Im Grunde ist Dirigieren aber einfach musikalische Körpersprache und nonverbale Kommunikation. Also muss man für sich Wege finden, seine klangliche Vorstellung gestisch auszudrücken und auf die Musiker zu übertragen. Außerdem braucht man unbedingt die Fähigkeit, Menschen zu begeistern, mitzureißen, zu bewegen und Lust auf den Diskurs mit den Musikern. Man muss gleichzeitig ein sehr starker Sender und Empfänger sein. Ich finde, das sind die schwierigsten und erfüllendsten Aspekte dieses Berufes.

Wie lange muss man studieren bzw. welche Stationen muss man passieren? Gibt es so was wie ein Praktikum im Orchester? Hast du ein paar Tipps für uns?
Man kann Dirigieren ganz klassisch an der Musikhochschule als Bachelor und Master studieren, aber es gibt auch sehr viele „Quereinsteiger“, die zum Beispiel als Instrumentalisten starten und erst später zum Dirigieren kommen.
Die musikalische Ausbildung beginnt aber weit vor dem Studium und auch danach ist der Weg noch lang: man fängt vielleicht als Assistenzdirigent an oder, wer eine Opernlaufbahn anstrebt, als Korrepetitor (d.h. als Pianist, der die Sänger in den Proben begleitet, bevor das ganze Orchester dabei ist) und wächst so langsam in den Job hinein. Da die Tätigkeit eines Dirigenten so unglaublich komplex ist, muss man viel Erfahrung sammeln. In dem Alter wo Fußballer ans Aufhören denken, gilt man als ‚junger aufstrebender Dirigent‘.

Bei den meisten Orchestern kann man sich jederzeit melden und einfach bei den Proben zuhören. Wer mit dem Gedanken spielt, sollte mal mit einigen Dirigenten sprechen und versuchen, privaten Unterricht zu bekommen. Vor allem aber selber erst Musiker werden, üben, in Konzerte gehen, Partituren lesen lernen usw.

Ist es schwierig eine Dirigentenstelle zu bekommen? Braucht man dazu Mentoren? Netzwerke? Gute Agent/innen? Glück?
Ja, natürlich. Wie in vielen Berufen ist es eine Mischung aus Talent, harter Arbeit, guten Lehrern, ein bisschen Vitamin B und dem Quäntchen Glück.

Warum gibt es so wenige Dirigentinnen? Haben es Frauen schwerer in diesem Beruf? Hattest du schon mal mit Vorurteilen gegenüber einer weiblichen Dirigentin von Orchestermusikern oder anderen Dirigenten zu kämpfen?
Es gibt ja erst seit wenigen Jahrzehnten Frauen als Orchestermusikerinnen. Die Stellung des Dirigenten hinkt da als Führungsposition in der Entwicklung noch einmal mehr hinterher, so wie in vielen anderen Berufszweigen.
Außerdem kann man vielleicht sagen, dass die Weiblichkeit einer Frau in der Wahrnehmung ihrer Person von außen ein deutlich stärkeres Gewicht hat, als das bei Männern der Fall ist. Da ein Orchester zu leiten nun wie gesagt eine in erster Linie körpersprachliche Tätigkeit ist, stehen weibliche Dirigenten in einem besonderen Spannungsfeld und müssen sich bemühen, eine gute Balance zu finden.
Ein ganz einfaches Beispiel dafür wäre das Problem der Kleidung: wir haben nicht die selbstverständliche, neutrale „Uniform“ des Fracks, eine Dirigentin muss sich extra Gedanken darüber machen, was sie anzieht und auch, wie das wirkt.

Im heutigen Musikbetrieb hat man auf dem Weg zum Podium tatsächlich noch mit Vorurteilen und Ressentiments zu kämpfen. Aber in der konkreten Arbeit mit den Orchestermusikern habe ich persönlich bisher immer den Eindruck gehabt, sehr gut angenommen zu werden und schlicht nach meinen Fähigkeiten beurteilt zu werden, was auch die Reaktionen des Publikums widerspiegeln.

Neulich durfte ich die beeindruckende 80jährige Dirigentin Sylvia Caduff kennen lernen, die als erste Frau die Berliner Philharmoniker dirigiert hat. Zu ihrer Zeit war eine Frau am Dirigierpult eigentlich unvorstellbar. Das sieht heute schon ganz anders aus: mit meiner Generation wächst langsam eine Riege ganz fantastischer junger Dirigentinnen heran, die sich ihren Platz in der Musikwelt erobern.

Was wünschst du dir für die Zukunft? Welches Stück/Musik ist für dich (als nächstes) eine große Herausforderung?
Erstmal möchte ich als Musiker und Dirigent reifen und viel neue Musik entdecken. Für meine Zukunft erhoffe ich mir natürlich eine lange Karriere mit tollen Orchestern, spannenden Stücke und schönen Konzerten. Aber ich wünsche mir, dass diese als Teil eines insgesamt erfüllten Leben mit Familie und Freunden und vielen anderen Dingen wächst. Ich bin überzeugt, dass Musik sich unbedingt aus dem ‚echten Leben‘ speisen muss, sonst bleibt sie leer.

Diesen Sommer bin ich als Conducting Fellow zu dem berühmten Luzern Festival eingeladen. Da warten einige echte Herausforderungen auf mich, zum Beispiel György Ligetis Violinkonzert oder Béla Bartòks ‚Holzgeschnitzter Prinz‘, worauf ich mich sehr freue.

Welche Popband findest du besonders gut und würdest du gerne mal dirigieren?
Mein Musikgeschmack geht so in Richtung Jazz, Funk und Soul. Im Moment liebe ich den Retro-Soundtrack der beiden Guardians of the Galaxy Filme. Dazu gibt’s viele einzelne Songs, die ich gut finde z.B. von Mark Ronson, Pharell Williams oder Seed. Die brauchen aber zum Glück alle keinen Dirigenten…

Quelle: LizzyNet