Einführung des Betreuungsgeldes: Das falsche Signal

Die ideologisch aufgeladene Debatte um das Betreuungsgeld bedarf einer nüchternen ordnungspolitischen Sortierung der Argumente. Die Steuerfinanzierung institutioneller Kinderbetreuung ist kein einseitiges Geschenk an berufstätige Eltern, das einer Kompensation für Nichtberufstätige bedarf. Von Christina Boll

Statt um die Prämierung einer bestimmten Betreuungsform geht es um die Beteiligung der Allgemeinheit an den Kosten der Arbeitsangebotsentscheidungen von Eltern. Das Betreuungsgeld sendet in mehrfacher Hinsicht die falschen Signale aus.

Man stelle sich einmal folgenden Fall vor: Herr Z., nichterwerbstätig und passionierter Kleingärtner, legt Beschwerde bei seiner Finanzbehörde ein. Der Vorwurf: Er könne vom Vorteil der steuerlichen Absetzbarkeit von Pendelkosten nicht profitieren. Diesen Verstoß gegen die Wahlfreiheit seiner Lebenszeitgestaltung betrachte er als diskriminierend. Er verlange eine angemessene finanzielle Kompensationszahlung seitens des Fiskus. Was absurd klingt, wird in anderem Zusammenhang ab 2013 Realität – die Koalitionsspitzen von CDU, CSU und FDP haben sich am 06. November 2011 darauf geeinigt, bundesweit ab 2013 an Eltern, die ihre Kinder selbst betreuen, ein Betreuungsgeld von monatlich 100 Euro im zweiten Lebensjahr ihres Kindes, ab 2014 aufgestockt auf 150 Euro im zweiten und dritten Lebensjahr  des Kindes, zu zahlen.1

Dies ist das falsche Signal:

Erstens an die Mütter: Es hebelt den mühsam errungenen Verdienst des Elterngeldes aus, Mütter zu einer etwas zügigeren Rückkehr in das Erwerbsleben zu bewegen. Die frühere Rückkehr macht mehrfach Sinn: Es profitierten Verdienst, Beschäftigungsfähigkeit und Alterssicherung der Frauen. Wie eigene Berechnungen zeigen, müssen Mütter, die statt einer einjährigen Auszeit eine dreijährige Auszeit nehmen, um rund 41 000 Euro höhere Bruttolohnverluste allein bis zum 45. Geburtstag hinnehmen, insgesamt rund 194 000 Euro.2 Hinzu kommen die nicht erworbenen Rentenanwartschaften während der Babypause.

Zweitens an die Väter: Gerade haben Väter begonnen, mit der Inanspruchnahme von Vatermonaten Familienaufgaben zu übernehmen und damit ihren Partnerinnen eine schnellere Rückkehr in den Job zu erleichtern.  Das Betreuungsgeld ist ein Rückschritt hin zur traditionellen Aufgabenteilung der Geschlechter.

Drittens an die Unternehmen: Wozu Wiedereinstiegsprogramme auflegen, flexible Arbeitszeitmodelle ersinnen, aufwändige Kontaktpflege zur „Elternzeitlerinnen“ betreiben, wenn sich nun an die Elternzeit bis zu zwei weitere Jahre anschließen, in der die Mitarbeiterin dem Unternehmen erst einmal nicht (und dann immer wahrscheinlicher auch dauerhaft nicht) zur Verfügung steht? Das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie rückt auf der Tagesordnung von Human Resources-Managern weiter nach hinten.

Viertens an die Kinder: Bekanntermaßen steigt die Gegenwartspräferenz mit sinkendem Bildungsstand. Bildungsferne Elternhäuser werden im Zweifel die 100 bzw. 150 Euro Cash einer Investition in außerhäusliche Sozialisations- und Bildungsdienstleistungen an ihren Kindern vorziehen. Dies schadet gerade jenen Kindern, die von der institutionellen Betreuung im Kleinkindalter am meisten profitieren würden. Nicht ausgeschlossen ist, dass ein Teil der Eltern ihre Kinder aus der KiTa wieder herausnimmt, um in den Genuss der Geldleistung zu gelangen.

Fünftens an die Gesellschaft: Knappen Ressourcen staatlicherseits einen finanziellen Anreiz zur Nichtmarktteilnahme zu setzen, ist volkswirtschaftlich fragwürdig. Auch das Argument der „Wahlfreiheit für unterschiedliche Lebensmodelle“, wie es im Koalitionspapier heißt, trägt nicht. Über Freiheit in juristischem versus ökonomischen Sinn lässt sich trefflich streiten. Fakt ist, dass unterschiedliche individuelle Lebensmodelle in einem Sozialstaat, der sein eigenes Überleben sichern will, unterschiedlich sanktioniert werden müssen. Fakt ist auch, dass berufstätige Menschen aus den Erträgen ihres Arbeitskrafteinsatzes Steuern und Sozialbeiträge zahlen. Nach dem Werbungskostenprinzip – so sieht es die Steuergesetzgebung vor – beteiligt sich im Gegenzug die Allgemeinheit an den entstehenden Kosten zur Erhaltung und Ausübung der Arbeitskraft. Berufstätige Eltern brauchen, um ihrer Arbeit nachgehen zu können, eine angemessene Betreuung ihrer Kinder während der Arbeitszeit. Niemand würde auf die Idee kommen, dem Kleingärtner Kosten zu erstatten, die ihm gar nicht entstehen. Die Idee, selbst betreuenden Eltern eine Kompensation für nicht entstandene Fremdbetreuungsleistungen zahlen zu müssen, kann nicht überzeugen.  

1 Laut Koalitionspapier vom 06.11.2011, Spiegel Online vom 07.11.2011: CSU mobbt Schröder-Vorschlag weg.
2
Annahmen: Erstgeburt mit 30 Jahren, Rückkehr zur Vollzeit mit Grundschuleintritt des Kindes, Überbrückung der Zwischenphase mit einer Teilzeittätigkeit; Frau mittlerer Bildung (vgl. Boll, C. (2009): Einkommenseffekte von Erwerbsunterbrechungen – mit besonderer Berücksichtigung möglicher Elterngeldeinflüsse auf das Unterbrechungsmuster, Policy Paper 1-21, Gutachten für das Gutachten für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend).

Die Autorin erhält am 08. November 2011 für ihre im Rahmen ihrer Dissertation durchgeführten Berechnungen der Lohneinbußen von Frauen durch geburtsbedingte Erwerbsunterbrechungen und deren gesellschaftspolitische Relevanz den Deutschen Studienpreis 2011 der Körber-Stiftung (Zweiter Preis in der Sektion Sozialwissenschaften) in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin. Der Deutsche Studienpreis zeichnet jährlich die besten deutschen Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aller Fachrichtungen aus. Er ist mit insgesamt über 100 000 Euro einer der höchstdotierten Preise für den wissenschaftlichen Nachwuchs in Deutschland. Schirmherr ist Bundestagspräsident Norbert Lammert.

Dr. Christina Boll
Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut (HWWI)
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