Zwischen Geschäftsfrau und Mutter Teresa

Die überwiegende Mehrheit der Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. Die Orizon Arbeitsmarktstudie zeigt: Meist wählen Frauen die Teilzeit aus familiären Gründen und fühlen sich zwischen Geschäft und Hausarbeit eigentlich sehr wohl. Ihrer beruflichen Zukunft sehen die Teilzeitbeschäftigten aber pessimistisch entgegen – und das zu Recht. Finanziell wird dieses Engagement für die Familie bestraft.

Teilzeit vermindert Einkommen und Karrierechancen erheblich. Aus der Teilzeit in eine höhere Position zu wechseln, ist nahezu unmöglich. Insbesondere Alleinerziehende haben es auf dem Arbeitsmarkt schwer. Erste politische Maßnahmen, wie das Elterngeld oder die Mütterrente, zielen darauf, diese Ungerechtigkeit auszugleichen. Doch für Politik und Wirtschaft bleibt viel zu tun.

Selbst gewählt aus guten Gründen

Mit 77,6 Prozent sind mehr als Dreiviertel der Teilzeitbeschäftigten weiblich; dies ergibt die Orizon Arbeitsmarktstudie mit insgesamt 2.123 Befragten (davon 348 Teilzeitbeschäftigte). Andere Umfragen (IAB) setzen den Frauenanteil in der Teilzeit sogar bei knapp 90 Prozent an. Die Gründe für diese großen Unterschiede zwischen den Geschlechtern liegen noch immer in den traditionellen Rollenmustern. Danach übernehmen Frauen eher die Erziehung der Kinder oder die Pflege der Angehörigen und stecken deshalb wesentlich häufiger beruflich zurück als Männer. „Teilzeitbeschäftigte sind zu einem hohen Anteil Frauen, die sich aus familiären Gründen für eine reduzierte Stundenzahl entscheiden. Mehr Zeit für Kinder, pflegebedürftige Eltern oder Hobbys ist etwas Erstrebenswertes, wirkt sich aber negativ auf die Karriere aus“, stellt Dr. Dieter Traub, Geschäftsführer des Personalunternehmens Orizon, fest. „Manche Männer würden eine Stundenreduzierung vielleicht auch vorziehen, verzichten aber aufgrund gesellschaftlicher Rollenbilder auf eine Teilzeitstelle“, umschreibt Traub die missliche Lage. Dabei sind die allermeisten Arbeitnehmerinnen mit ihrer Teilzeitstelle zufrieden. In der Orizon Arbeitsmarktstudie geben 78,9 Prozent der Frauen in Teilzeit an, sich in ihrer jetzigen Arbeitsstelle wohlzufühlen. Bei den (wenigen) Männern in Teilzeit sind es mit 76,9 Prozent fast ebenso viele. Entsprechend wenige Teilzeitbeschäftigte sind auch aktiv auf der Suche nach einem neuen Job – bei den Frauen 23 Prozent, bei den Männern 25,6 Prozent.

Entscheidung mit Folgen

Die ökonomischen Folgen einer Teilzeitbeschäftigung wiegen allerdings schwer. „Insbesondere junge Frauen müssen aufpassen, dass sie sich mit einer Teilzeitstelle nicht ins berufliche Abseits stellen“, gibt Personalexperte Traub zu bedenken. Während der eingeschränkten Beschäftigung können kaum eigene Rücklagen gebildet werden. Gleichzeitig verringern sich durch die Verdienstausfälle die Rentenansprüche. Es entsteht eine finanzielle Abhängigkeit vom verdienenden Partner – oft auf Lebenszeit. Für Alleinerziehende wird die Situation noch brenzliger, wie man auch dem aktuellen Armutsbericht 2016 entnehmen kann,  nach dem die Armutsquote Alleinerziehender bei 42 % liegt. Zudem haben Teilzeitkräfte schlechtere Chancen, einen neuen Job zu finden. Arbeitgeber fürchten bei familiären Verpflichtungen oft geringere Flexibilität und höheren Arbeitsausfall wegen erkrankter Kinder. Insofern ist die Einschätzung der Arbeitnehmer in der Orizon Arbeitsmarktstudie 2015 durchaus realistisch: Nur 46,3 Prozent der Beschäftigten in Teilzeit sehen ‚gute‘ oder ‚sehr gute‘ Chancen, in Deutschland einen neuen Job zu finden. Bei den Vollzeitbeschäftigten sind es mit 63,4 Prozent wesentlich mehr. Noch geringer als die Jobchancen sind die Karriereaussichten. Nur sehr selten kann aus Teilzeit heraus die nächste Sprosse der Karriereleiter erklommen werden. In der Konsequenz bewirkt die Karrierefalle Teilzeit nicht nur einen konkreten Verdienstausfall, sondern auch ausbleibende Beförderungen und Gehaltserhöhungen.

In Richtung Gleichberechtigung

Das ElterngeldPlus als familienpolitisches Instrument gibt den Eltern nun mit den Bonusmonaten Anreize, sich Erziehungs- und Erwerbsarbeit jeweils zu teilen. „Auch die Arbeitgeber profitieren von dieser beidseitigen Beteiligung. Sie müssen keine Elternzeitvertretung einstellen, sondern können, wenn auch eingeschränkt, auf das eingearbeitete Personal zurückgreifen“, ergänzt Traub. Bei der Flexibilisierung von Karrierepfaden sieht Traub noch Nachholbedarf bei den Unternehmen. „Gerade bei annähernder Vollbeschäftigung muss jedes Potential ausgeschöpft werden. Unternehmen werden es sich schlicht nicht leisten können, talentierte Frauen und familienorientierte Väter der Generation Y ziehen zu lassen, weil die Jobs keinen Spielraum für die Familie lassen. Bei Orizon haben wir bereits Führung in Teilzeit und sind mit den Ergebnissen sehr zufrieden“, resümiert Traub.

 

Hintergrundinfos zur Studie

Die Orizon GmbH hat 2015 zum vierten Mal die Studie „Arbeitsmarkt – Perspektive der Arbeitnehmer“ durchgeführt. An der bevölkerungsrepräsentativen Online-Befragung nahmen im Jahr 2015 2.123 Arbeitnehmer und Arbeitsuchende in Deutschland teil. Abweichende Stichprobengrößen in den Folien kommen durch gezielte Filter zustande; etwa wurden bei der Frage nach Belastungen am Arbeitsplatz Auszubildende und Arbeitsuchende nicht berücksichtigt (n = 1.872). Durchgeführt wurde die Studie von dem unabhängigen Marktforschungs- und Analyseunternehmen Lünendonk GmbH. Zur Gewährleistung der Repräsentativität wurden vorgegebene Quoten über die soziodemographischen Merkmale Alter, Geschlecht, Schulbildung und Bundesland etabliert. Verzerrungen wurden durch Gewichtung aufgehoben. Die Gewichtung erfolgte nach Mikrozensus.